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Untersuchung der BSAC-Tauchunfallstatistik

Nachfolgend soll eine Auswertung der BSAC-Unfall-Statistik unter besonderer Berücksichtigung einer möglichen Korrelation von Tauchtiefe und Unfallhäufigkeit und Unfallschwere vorgenommen werden.

Inhalt

1. Erläuterung der Problemstellung
1.1 Einschränkungen und Unzulänglichkeiten des verwendeten Datenmaterials
2. Betrachtung der tödlichen Tauchunfälle
3. Dekompressionsunfälle
4. Verletzungen/Krankheiten
5. Boots- oder Oberflächenunfälle
6. Unfälle beim Aufstieg
7. Menschliches Versagen
8. Technisches Versagen
9. Fazit

1. Erläuterung der Problemstellung

In einer Aufstellung der BSAC über Unfälle beim Sporttauchen für das Vereinigte Königreich (Großbritannien und Nordirland) werden für die Jahre 1995 und 1996 insgesamt 313 Vorfälle aufgeführt. Hierbei werden alle Arten von Unfällen genannt, die vor, während oder nach taucherischen Aktivitäten gemeldet oder anderweitig (z.B. durch Pressemitteilungen) bekannt wurden. Es handelt sich somit nicht nur um „reine“ Tauchunfälle, sondern auch um tauchbezogene Ereignisse.

Die Relevanz der Unfälle erfährt dadurch naturgemäß unterschiedlichste Ausprägungen. Die Spannweite reicht vom gebrochenen Zeh infolge einer einem Taucher auf den Fuß fallenden Tauchflasche bis hin zum tödlichen Unfall infolge Panikaufstieg.

Zuerst war es daher nötig, einen Bewertungsmaßstab zu finden, um die für die Problemstellung relevanten Unfälle zu ermitteln. Um die zahlreichen in der Aufstellung genannten als relativ irrelevant für die Untersuchung anzusehenden Vorfälle von den bedeutsamen Tauchunfällen zu trennen, wurde definiert, dass ein Vorfall dann als auswertungserheblicher Unfall bzw. Fehlverhalten gelten soll, wenn im Verlauf der Unfallhandlung Personen verletzt wurden oder das taucherische (Fehl-)Verhalten potenziell gefährlich oder gefährdend war. Und zwar ohne dass es im letzteren Falle zu weiterreichenden Folgen kommen mußte. Als Fehlverhalten wurden also alle Handlungen gewertet, die zur Schädigung von Personen führten oder hätten führen können.

So blieben von 313 Vorfällen noch 252 übrig, welche als Untersuchungsdaten verwertet wurden.

1.1 Einschränkungen und Unzulänglichkeiten des verwendeten Datenmaterials

Zusätzlich muß gesagt werden, daß eine Auswertung der Tauchgänge nach deren Unfallschwere in Korrelation mit der maximalen Tauchtiefe beim vorhandenen Material schwierig ist, weil sowohl die maximale Tauchtiefe als auch die Tiefe, in der sich ein Unfall jeweils ereignete, in vielen Fällen nicht dokumentiert sind. In den vorliegenden Daten sind 21 Tauchgänge von 252 Tauchgängen insgesamt gesichert tiefer als 40 m gewesen (entspr. 8%), der tiefste führte dabei auf 62 m.

2. Betrachtung der tödlichen Tauchunfälle

Von den 252 untersuchten Fällen im genannten Zeitraum waren 16 (entspr. 5%) letal.

Bei den tödlichen Unfällen gibt es nur 2 Unfälle mit direktem Ertrinken als Todesursache. Ein Fall der besonders bizarr ist, sei exemplarisch genannt: Ertrinken an der Wasseroberfläche beim Versuch einen neuen Trockentauchanzug auszuprobieren.

Weitere Ursachen für den tödlichen Ausgang eines Tauchgangs waren in 4 Fällen gravierende akute gesundheitliche Störungen (ein akuter Myocardinfarkt, ein Fall von Bewußtlosigkeit unbekannter Ursache unter Wasser, ein akutes Leberversagen infolge falsch positioniertem und überschweren Bleigurt, einmal vermutlich Medikamenteneinwirkung)

In den Fällen, in denen die Unfallursache keine plötzlich auftretende körperliche Fehlfunktion wie in den vorher genannten Beispielen war, konnte stets eine Kombination von mehreren Ursachen unfallauslösend wirken: In 4 Fällen war technisches Versagen die Ursache, kombiniert entweder mit dem Verlust des Partners oder Fehlern bei der Durchführung der Wechselatmung bzw. eines Notaufstieges. In einem anderen Fall Trennung vom Partner und Einschwimmen in eine Abwärtsströmung. In 2 Fällen traten jeweils Kombinationen auf von Geräteausfall, Luftmangel und Verlust des Partners.

Ein weiter Fall mit letalem Ausgang ist wahrscheinlich auf das Tieftauchen mit erhöhtem Sauerstoffanteil (Nitrox) in eine Tiefe von 62 m zurückzuführen.

3. Dekompressionsunfälle

Die überwiegende Mehrzahl der ausgewerteten Unfälle sind überraschenderweise Dekompressionsunfälle. Hier wurden 83 Vorfälle registriert, entsprechend 33% der gesamten in dieser Untersuchung nach der vorher definierten Methodik ausgewerten Vorfälle. Diese auf den ersten Blick hohe Zahl relativiert sich jedoch, weil die meisten dieser Unfälle lediglich zu einer DCS vom Typ I führten und erkennbare Spätschäden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht festgestellt bzw. nicht dokumentiert wurden.

Es werden nachfolgend die in britischen (Nordsee, Irische See, Inlandseen) und anderen Gewässern dokumentierten Fälle ausgewertet.

Häufigste Ursache für das Auftreten von DCS nach dem Tauchgang waren unkontrollierte Notaufstiege bzw. das Auslassen von einer oder mehreren Dekompressionsstufen oder im schlimmsten Falle der ganzen Dekompressionsphase. Hauptursache hier waren Luftmangel und mangelnde Beherrschung der Ausrüstung, insbesondere der Trockentauchanzüge. Trockentauchanzüge scheinen besonders häufig für unkontrollierte Aufstiege verantwortlich zu sein, weil viele Taucher mit der Tarierung und dem Bedienen der Ventile Schwierigkeiten zu haben scheinen, besonders wenn zusätzliche Stressoren in Form von Problemen auftreten.

Die überwiegende Mehrzahl der Dekompressionsunfälle tritt nach Tauchgängen in Tiefen zwischen 20 m und 39 m auf (18 Vorfälle) gegenüber 9 Fällen, die tiefer als 40 m führten. Einschränkend muß gesagt werden, daß für eine gewisse Anzahl dekompressionspflichtiger Tauchgänge mit nachfolgendem Unfall keine maximale Tiefe angegeben wurde, so daß hier die Untersuchung und Auswertung lückenhaft bleiben müssen.

Von den Dekompressionsunfällen war keiner tödlich, und nur ein sehr geringer Anteil der Patienten war nach einer Druckkammerbehandlung nicht vollständig wiederhergestellt. Nur 1 Tauchgang (43 m max. Tiefe) mit unzureichender Dekompression führte zu Paralysen von der Hüfte an abwärts. In der überwiegenden Mehrzahl der Dekompressionsunfälle mit anschließender hyperbarer O 2 -Behandlung ist eine vollständige Wiederherstellung des Gesundheitszustandes (full recovery) der Patienten dokumentiert.

Häufig traten DCS-Fälle nach gravierend von der Regel abweichenden Tauchgangsprofilen auf (z.B. exzessives Varieren der Tauchtiefe in kurzen Zeitabständen, also sog. JoJo-Tauchen ) bzw. nach längeren Phasen, in denen mehrere Tauchgänge an einem Tag absolviert wurden, bzw. nach „Non-Limit“- Tauchen (z.B. nach 5 Tagen bei 2 TGs/Tag, bzw. nach 1 Tag mit 3 TGs). Auch ist ein Fall dokumentiert, in dem der 2. Tauchgang deutlich tiefer als der erste führte.

Die insgesamt sehr hohe Anzahl an Fällen in dieser Kategorie ist möglicherweise auch auf die in häufig prophylaktisch angewandte Druckkammerbehandlung zurückzuführen. Es ist beobachtbar, dass (wie erwähnt) die meisten Fälle keine Spätfolgen zeitigten und generell in diesen Fällen von einer vollständigen Wiederherstellung (complete recovery, full recovery) der Patienten gesprochen wurde.

4. Verletzungen/Krankheiten

Neben der im vorigen Abschnitt behandelten DCS traten folgende weitere gesundheitlichen Probleme als Folge taucherischen Fehlverhaltens oder körperlicher Defizite auf Für die Unfallursache N 2 -Narkose werden 2 Fälle genannt, entsprechend 1% der insgesamt betracheten Vorfälle. Beide Fälle endeten aber nicht tödlich.

5. Boots- oder Oberflächenunfälle

Häufigst genannter Punkt in dieser Kategorie waren Maschinenschäden an den Booten, die wir aber nicht als Unfälle im engeren Sinne bewerten können, wie bereits in der Einleitung gesagt.

An erster Stelle der relevanten Schwierigkeiten ist hier das Abtreiben der Taucher vom Bootsankerplatz zu nennen, wofür häufig Strömung oder Gezeiten die Ursache waren. Alle vermissten Taucher konnten aber früher oder später wieder aufgefunden werden. Das Gefährdungspotenzial war bei diesem Problemkreis eher gering, nur in einem Falle gerieten Taucher beim Auftauchen in das Fahrwasser großer Schiffe und erzwangen dadurch ein Ausweichmanöver einer größeren Personenfähre. Von insgesamt 99 Fällen in dieser Kategorie (Boots- oder Oberflächenunfälle) entfielen 28 auf Abtreiben oder Desorientierung im Wasser verbunden mit ungeplanter Nicht- Rückkehr zum Ausgangspunkt des Tauchgangs. (28%)

6. Unfälle beim Aufstieg

Häufigst genannter Punkt hier war das Nichteinhalten der Auftsiegsgeschwindigkeit.

Diese Unfallart spielte in allen Unfallkategorien eine Rolle. Bei den insgesamt 252 Fällen wurde zumindest in 27 Vorfällen (enstspr. 11%) die empfohlene Aufstiegsgeschwindigkeit deutlich überschritten.

Die Ursachen für dieses Versagen sind vielfältig. Zum einen wurde häufig technische Probleme genannt. Hier waren insbesondere die Ablass-Ventile der Trockentauchanzüge die Ursache, bei denen entweder Bedienfehler vorlagen, oder z. B. der Ablass von innen durch den Unterzieher im Trockentauchanzug verstopft war, so daß die Luft nicht oder nur verzögert aus dem Anzug herausgelassen werden konnte.

Eine weiterere Ursache für zu schnellen Aufstieg war in 4 Fällen der plötzliche Verlust des Bleigurtes und das Unvermögen diese Situation zu beherrschen.

Bei diesen Fehlern wurden auch häufig die notwendigen Dekompressionstopps aus naheligenden Gründen nicht eingehalten, was aber nur in geringen Anzahl der Fälle zum Auftreten einer massiven DCS führte.

Auch die in England häufig benutzte Aufstiegs- oder Markierungsboje (SMB = surface marker bouy) führt zu vielen Unfällen. Sie wird in der Regel am Ende des Tauchgangs zur Oberfläche hochgelassen, um Schiffe zu warnen oder dem Tauchboot zu signalisieren, wo die Gruppe auftauchen wird. Häufig haben sich Taucher in der sich entrollenden Leine verfangen und sind mit der Boje hochgezogen worden (5 Fälle)

7. Menschliches Versagen

Wichtigste Ursache hier ist der Luftmangel am Ende des Tauchganges. Er trat in 20% der Fälle von den durch taucherisches Unvermögen verursachten Problemfällen (5 von insgesamt 24 Fällen in dieser Kategorie) auf.

Weitere gravierende Fehlleistungen in diesem Bereich waren

8. Technisches Versagen

Hauptursache in dieser Kategorie war Versagen des Atemreglers. Die Fälle hier verteilen sich folgendermaßen: Auch Trockentauchanzüge erwiesen sich wie bereits erwähnt als sehr störanfällig. Hauptfehlerquellen hier waren, wie bereits erwähnt die Ventile, und hier primär die Auslässe, die sich entweder nicht öffneten oder verstopft waren. Die Lufteinlässe waren weniger häufig von Störungen betroffen.

Ein falsch montiertes Do-It-Yourself-Ventil in einer Pressluftflasche führte beim Herausschießen aus der Flasche während des Füllvorgangs zu schwersten Kopfverletzungen ebenso wie eine während des Füllens explodierende Flasche in einem anderen Fall.

In 2 Fällen führte alte bzw. schlecht gewartete Tauchausrüstung während des Tauchens zu Problemen, in einem Falle zu einem tödlichen Ausgang.

9. Fazit

Wenn gemeinhin für das Tieftauchen verschiedene Begleiterscheinungen angesehen werden (plötzlicher Tod, N 2 - Narkose, Dekompressionsunfall), so kann die vorliegende Untersuchung und deren Auswertung dies nicht bestätigen. Nach der vorliegenden Auswertung kann Tauchen in Tiefen unterhalb 40 m nicht als extrem risikobehaftet gelten. Wenn bei Tauchgängen in diesem Tiefenbereich Taucher mit Problemen konfrontiert wurden und sich gefährliche Situationen ergaben, war die Ursache des Unfalls stets multifaktoriell. Verlust des Tauchpartners und simultanes Auftreten von technischen oder gesundheitlichen Problemen ist beispielsweise eine häufige Ursache.

Extreme Tieftauchgänge mit Pressluft (tiefer als 80m) waren nicht Gegenstand der Untersuchung. Da bei diesen Tauchtiefenbereichen davon auszugehen ist, daß das Risiko gefährlicher bzw. tödlicher Unfälle exponentiell zunimmt, können hierzu auch keine verlässllichen Aussagen interpolierender Art gemacht werden.

Keinesfalls gesichert kann nach Auswertung des Materials die These werden, daß Tauchgänge in Maximaltiefen geringer als 40m sigifikant sicherer sind als solche unterhalb dieser Grenze. Dazu war die Anzahl der gefährlichen Unfälle an oder in der Nähe der Oberfläche signifikant zu hoch. Auch was den Schweregrad dieser oberflächennahen Unfälle anbelangt, kann nicht davon gesprochen werden, daß eine geringere Tauchtiefe ein ebenfalls linear vermindertes Risiko impliziert.

Weiterhin zu leisten wäre indes eine Sichtung des gesamten von der BSAC erhobenen Materials, also den Einschluß aller Jahrgänge von 1990 bis heute, um die Datenbasis zu verbreitern und die Untersuchung besser abzusichern.

Peter Rachow (Jan. 1999)