Homepage von Peter Rachow Startseite - Home

Dekompression nach Deco2000 oder "GUE"

An dieser Stelle möchte ich über eine sehr interessante Leserzuschrift berichten, die ich unlängst erhalten hatte. Hier also zuerst die E-Mail (mit freundlicher Zustimmung des Autors):

Sehr geehrter Herr Rachow,

seit ein paar Jahren verfolge ich die Beitraege zum Thema Tauchen auf Ihrer Homepage mit grossem Interesse.

Vor diesem Hintergrund wuerde mich Ihre Einschaetzung zu folgendem Sachverhalt interessieren:

In der letzten Woche war ich zum Tauchen in Norwegen.

Bei einem Tauchgang am Wrack des Frachters Frankenwald landete ich in einem Zweierteam mit einem (meiner Einschaetzung nach erfahrenen) DIR-/GUE-Taucher. Wir tauchten beide mit Pressluft.

Es war ein typischer Wracktauchgang: runter an der Boje, Wrack angucken, wieder rauf. Bei einer Tiefe zwischen 25 und 35 Metern.

Nun legte die Basis Wert darauf, keine Vorgaben zur Tauchtiefe zu machen - wichtig war nur, dass man sich an die vorher vereinbarte Tauchzeit hielt. In diesem Fall waren 50 Minuten vereinbart. Nach etwa 28 Minuten kam es zu einem kleinen Problem: Mit Blick auf die vereinbarte Tauchzeit war mir nach Aufsteigen zumute. Mein Tauchpartner ignorierte allerdings alle Anfragen und Ansagen meinerseits - es war alles in Ordnung, er hatte bloss keine Lust, schon hochzugehen. Angesichts recht guter Sichtverhaeltnisse begann ich alleine mit dem Aufstieg bis auf 9m, tauchte dann nach DECO 2000 aus (3' / 7' / 16').

Etwa 5 Minuten nach mir begann auch mein Tauchpartner mit dem Aufstieg. Sehr langsam aber stetig kam er naeher, erreichte mich, zog an mir vorbei - und verliess das Wasser ca. 10 Minuten vor mir. Wieder im Boot verstand ich die Welt nicht mehr - laengere Grundzeit, deutlich effizientere Deko, all das mit Luft, ... Und meinem Tauchpartner ging es nach dem Tauchgang gut.

Nachdem sich der Bootsfuehrer ob meines Brechens der Tauchzeit beruhigt hatte, erklaerte man mir, das sei halt das GUE-System. Einfach gesagt bedeute das: beim Beginn des Austauchens wird nicht die maximale, sondern die durchschnittliche Tiefe benutzt. Und dann beginne man schon sofort - also in diesem Fall bei 25 Metern - mit den Deko-Stops. Diese gebe es alle 3 Meter, dabei aber sehr kurz.

Nun, ich hatte zwar schon was von Deepstops gehoert, aber diese kontinuierlichen Stops waren mir neu.

[...]

Mit herzlichem Gruss,

M. K.
aus H.

Soweit so schön. Zuerst einmal war ich verblüfft über die eigenartige Art der Dekompressionsplanung: "Durchschnittstiefe" als Ersatz für Maximaltiefe? Kurze und gleich lange Stopps alle 3 Meter? Häääää? Wie bitte?

Ich habe diese Sache dann durchdacht und dem Leserbriefschreiber (sinngemäß) folgende Antwort gegeben:


Hallo Herr K.,

so nun ein paar Gedanken zu dem von Ihnen geschilderten Fall:

Was dieser GUE-Taucher praktiziert (ein quasi-kontinuierliches aber langsames Auftauchen bis zur Wasseroberfläche) ist im Grunde genommen die maximierte Verminderung der Aufstiegsgeschwindigkeit. Dabei wird natürlich das in den Geweben eingelagerte Inertgas entsättigt. Allerdings halte ich diese Methode für relativ gefährlich und nicht passend auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Dekompressionsforschung.

Warum ist das so?

Für die schnelleren Gewebe mag das vorgestellte Verfahren ja noch funktionieren, für die langsameren aber kaum. Denn wenn man auch im Tiefenbereich von 9 bis 3 Meter Wassertiefe mit der gleichen Rate auftaucht wie in  den unteren Bereichen, bekommen diese langsamen Gewebe m. E. nicht ausreichend Zeit zur Entsättigung. Dies insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass sich diese langsamen Gewebe während des verzögerten Auftauchens noch weiter aufsättigen.

Die Entsättigung der Gewebe erfolgt immer in der Art, dass das Tiefenprofil beim Austauchen einer Exponenzialfunktion folgt. Diese flacht zum Ende hin immer weiter ab, wie das Exponenzialfunktionen eben so zu tun pflegen. Dadurch endet die Dekompressionsphase mit der Tiefe "0 Meter" und dem dieser Tiefe vorgeschalteten längsten Dekostopp. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Gewebe mit langen Halbwertszeiten eben länger entsättigen müssen. Daher verlängern sich bei der Bühlmanndekompression (auf der die Deco2000 aufbaut) die Dekompressionsstopps bei jeder niedrigeren Dekompressionsstufe.

Würde man die GUE-Dekompression anwenden, müssten alle Gewebe als Voraussetzung in etwa gleiche Halbwertszeiten aufweisen, es müsste also statt einer quadratischen Funktion eine lineare Funktion der Gewebehalbwertszeiten vorliegen. Und das ist bekanntermaßen nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Halbwertszeiten (HWZen) der Kompartimente unterliegen einer quadratischen Funktion:

(C) Peter Rachow
Natürlich könnte man nun einwenden, dass es sich nur um Beispielgewebe handelt und die Auswahl der HWZen eben quadratisch angelegt sei. Aber die Übersättigungskonstanten (a- und b-Werte) nach Bühlmann folgen in jedem Falle der Funktion einer 2. bzw. 3. Wurzel:

(C) Peter Rachow (C) Peter Rachow
 
Mit "linear" hat das also alles nichts zu tun.

Insofern denke ich, dass diese Art der Dekompression den Gegebenheiten im menschlichen Organismus zuwider läuft.

Das Problem dabei m. E.  weiterhin, dass die angenommene Durchschnittstiefe wahrscheinlich gar nicht die reale Durchschnittstiefe ist, es sei denn man hat einen Tauchcomputer, der die exakte Durchschnittstiefe anzeigt. Und wenn der GUE-Taucher nur den Mittelwert zwischen Maximaler Tiefe und 0 Metern errechnet, macht er eben den Fehler die Zeit, die er auf Tiefe verbracht hat, vollkommen zu vernachlässigen. Denn Dekompression ist eine Funktion aus Tiefe UND Zeit.

Viele Grüße

Peter Rachow

 
 

04.08.2011 - Peter Rachow