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Argumente für und gegen das Tauchen mit Nitrox

1) Verlängerte Nullzeiten vs. Dekotauchgänge
2) Einschränkungen der Tauchtiefen
3. Langzeitschäden?
4) Wirtschaftliche Erwägungen
5) Das Hantieren mit erhöhtem Sauerstoffanteil kann Gefahren bedeuten
6.) Fazit


Nitrox liegt im Trend. Von der Tauchindustrie in den Markt gedrückt, von den Basen als Sicherheitsplus beworben und von den nachahmungsbeflissenen Tauchern begierig aufgesogen. Was ist dran, am "Atemgas der Zukunft"?

1) Verlängerte Nullzeiten vs. Dekotauchgänge

Der Einsatz von O 2 -angereicherten Atemgasgemischen (Nitrox) verlängert wegen des verringerten Inertgasanteiles die Tauchzeiten für eine gegebene Tiefe bevor explizite Dekompressionspausen notwendig werden. Die sog. „Nullzeit“ bis zu deren Ende man theoretisch ohne Zwischenhalte auftauchen kann, wird länger, wenn Atemgase verwendet werden, deren Stickstoffanteil reduziert ist (abhängig von der Relation Inertgasanteil zu Sauerstoffanteil), Dekompressionstopps werden erst sehr viel später nötig, als wenn mit normaler Pressluft getaucht würde.

Der Nitroxtaucher muss also weniger über Dekompression wissen, weil er mit Nitroxatmung mit einer geringeren Wahrscheinklichkeit überhaupt dekompressionspflichtig wird. Dass er u. U. trotzdem einen Dekompressionstatus erreicht, der hart an der Grenze zur Dekompressionpflicht liegt, muss ihn nicht interessieren, er taucht ja Nitrox, und das sei sicher, so wird ihm suggeriert.

Stellt man jedoch die Frage, warum denn eigentlich Dekompressionstauchgänge grundsätzlich vermieden werden sollen, erkennt man, dass die Lösung doch nicht ganz so einfach ist. Vergleichen wir zwei Tauchgänge miteinander:

a) Nullzeit Tauchgang bis an das Ende der NZ

Nach einem Tauchgang bis an die Grenze der Nullzeit hat der Taucher nach der Rückkehr an die Wasseroberfläche zumindest ein derart mit soweit N 2 aufgesättigtes Gewebe, dass 1 bar Umgebungsdruck noch gerade keine manifesten gasblasen entstehen lässt (sog. Führungsgewebe ).

b) Dekotauchgang

Nach einer korrekt durchgeführten Dekompressionsphase ist dies ebenfalls der Fall. In diesem Falle gibt es, was die Restsättigung des Führungsgewebes betrifft, keinen Unterschied zwischen einem Nitroxtauchgang und einem entsprechenden Presslufttauchgang in Bezug auf den verbleibenden Inertgaspartialdruck im Gewebe in Relation zum Umgebungsdruck.

Stichwort "Dekompressionsqulität": Von den Befürwortern des Nitrox-Tauchens wird gelegentlich ins Felde geführt, dass die „Dekompressionsqualität“ mit Nitrox höher sei. Dazu ist anzumerken, dass eine wie auch immer zu definierende „Dekompressionsqualität“ primär sicher nichts mit der Zusammensetzung des Atemgases zu tun hat. M. a. W.: Auch durch den Einsatz eines sauerstoffangereicherten Atemgases ist eine sachgerechte Dekompressionsphase nicht per se sichergestellt. Begründung: Die Qualität der Dekompressionsphase entscheidet sich alleine am Austauchprofil, also am Quotienten der Druckentlastung (dp/dt) im Relation zur vorher erfolgten Aufsättigung der Gewebe mit dem jeweiligen Inertgas, welche natürlich abhängig vom Atemgasgemisch, Tauchzeit und -tiefe ist. Der einzige Faktor der mit Nitroxdekompression Vorteile bringt, ist der Zeitfaktor: Wer möglichst schnell aus dem Wasser will, der hat bei der Dekompression mit erhöhtem O 2 -Anteil deutliche Vorteile.

Austauchprofile sind also konsequent anhand der theoretisch hergeleiteten und empirisch abgesicherten Dekompressionsalgorithmen durchzuführen. Entscheidend für die Qualität einer Dekompression ist daher ein möglichst konservatives Austauchprofil. Ob dieses mit Nitrox oder Luft getaucht wird, ist dann nur noch von sekundärer Relevanz. Bei einem ungünstigen Austauchprofil (zu hohe Aufstiegsgeschwindigkeit, Nichteinhalten der Dekompressionspausen, beschleunigter Aufstieg vom 3m-Stopp etc.) bringt die Verwendung von sauerstoffangereichertem Atemgas zwar Vorteile, aber keine, die sich nicht durch entsprechende Tauchfertigkeiten und Praxis ersetzen ließen.

Fazit: Determinante für das sichere Tauchen und die Einhaltung der Dekompressionsregeln ist hier also zuvorderst die theoretische und praktische Ausbildung der Sporttaucher sowie deren Fähigkeit, das sachgerechte Austauchen zu beherrschen. Wenn heute jedoch in modernen amerikanischen Tauchkursen keine Dekompressionsproblematik mehr vermittelt wird und stattdessen der eine möglichst lange Nullzeit mit einem den Tauchgang abschließenden "Sicherheitsstopp" favorisiert wird, liegt es nahe, nur noch Nitroxtauchen anzubieten. Dahin scheint auch international der Trend zu gehen: Es wurden bereits erste Berichte von Kreuzfahrtschiffen in Ägypten veröffentlicht, auf denen nur noch Nitrox angeboten wird. Dass man damit den gefürchteten "Tieftauchern" endlich probat das "Handwerk legen kann", scheint ein nicht ungewollter Nebeneffekt zu sein.

Ausbildungsdefizite werden so, zumindest teilweise, als Rechtfertigung für die Anwendung neuer Atemgase herangezogen. Der scheinbare Gewinn an Sicherheit ist jedoch keiner, da auch mit Gasen, deren N 2 -Anteil verringert ist, noch gesundheitliche Schäden bei unangemessenen Austauchprofilen drohen.

Hinzu kommt, dass Nullzeitangaben, ebenso wie Dekoberechnungen, nur für einen bestimmten Anteil von Tauchern aus einem großen Kollektiv gelten. Sie sind bis zu einem gewissen Grade volatil. Ob diese Regeln stimmen oder nicht, hängt neben vielen Faktoren auch von der individuellen Disposition des jeweiligen Tauchers ab. Die Wahrscheinlichkeit jedoch an diese Grenze zu stoßen, steigt, wenn man, wie z. B. bei PADI durchgeführt, die Nullzeiten stark verlängert.

Davon auszugehen, dass Nullzeittauchgänge (egal ob mit Nitrox oder Pressluft) per se sicherer seien als Dekompressionstauchgänge, bedeutet die physiologischen Grunderkenntnisse der Tauchmedizin zu ignorieren. Und auch Nullzeit-Tauchgängen hat man keine Gewähr für das Ausbleiben von Dekompressionsproblemen. Und die Nullzeit mit Nitrox zu verlängern, um dann an weiter an dieser nunmehr hinausgeschobenen Grenze entlangzutauchen, ist ebenfalls kein Sicherheitsgewinn, sondern verlängert nur einen an sich schon falschen Denkansatz in die Zielgerade.

2) Einschränkungen der Tauchtiefen

Durch den erhöhten Anteil von O 2 im Atemgas steigt auch der Partialdruck des Sauerstoffs im Atemgasgemisch an. Dadurch kann es jenseits einer bestimmten Tiefe zu akuten Symptomen einer Sauerstoffintoxikation mit neurologischer Problemtik (Paul-Bert-Effekt, sog. Sauerstoffkrampf ) kommen. Daher wird ein bestimmter Sauerstoffpartialdruck (ppO 2 ) definiert, der nicht überschritten werden sollte (zwischen 1,4 und 1,6 bar ppO 2 ). Diese Tiefe liegt für Pressluftatmung (Sauerstoffanteil ca. 21%) bei ca. 66m wenn der ppO 2 max. mit 1,6 bar zugrunde gelegt wird . Die Auftretenswahrscheinlichkeit folgt dabei einer Exponentialkurve, ab 2 bar ppO 2 steigt diese sehr steil an.

Bei Nitrox-Atmung ist die Tauchtiefe also abhängig vom O 2 -Anteil und vom definitorisch gesetzten maximalen Sauerstoffpartialdruck limitiert (z.B. bei max. erlaubten ppO 2 von 1,6 bar bei einem O 2 -Anteil von 32% auf 40 m).

So wird ableitbar, dass es für den Einsatz von Nitrox ein bestimmtes "Tiefenfenster" gibt, in dessen Bereich seine Anwendung sinnvoll erscheinen kann. In geringeren Tiefen dieses Fensters mit Nitrox zu tauchen ist relativ sinnlos, weil die Nullzeiten auch unter Pressluftatmung derart lang sind, dass man wohl kaum in die Verlegenheit kommen könnte, dort auch noch dekomprimieren zu müssen bzw. ein Atemgas mit erhöhtem O 2 -Anteil lohnend erscheint, z. B. wg. der gewünschten Verlängerung der Nullzeit. Hier ist auch die Nutzen-Kosten-Relation eine Variable der Betrachtung. Zieht man in Betracht, dass eine Nitrox-Füllung mit im Mittel den vierfachen Preis einer Pressluftfüllung zu Buche schlägt, kommt die Zweifelhaftigkeit eines TG mit einer max. Tiefe von 20 m unter Nitroxatmung deutlich zum Vorschein.

Unterhalb der Grenztiefe verbietet sich die Anwendung von Nitrox, wegen der exponentiell zunehmenden Toxizität von hyperbarem Sauerstoff in Abhängigkeit vom Umgebungsdruck.

3) Langzeitschäden bei länger dauernder Inspiration von Atemgasen mit einem hohem ppO 2 ?

Wird Sauerstoff unter einem hohen Partialdruck längere Zeit aufgenommen, kommt es in der Folge zu einer Veränderung im Lungengewebe. Aus der Dauereinwirkung des hyperbaren O 2 resultiert eine Schwellung der Lungenalveolen, in der Folge kommt es zu einem reduzierten Gasaustausch und damit zu einer Verringerung der Vitalkapazität der Lunge, zu Übelkeit, Müdigkeit und eingeschränkter Leitungsfähigkeit, was besonders bei körperlicher Anstrenung beobachtbar ist. Weitere Folge kann ein Lungenödem sein.

Diese Folgen (sog. Lorraine-Smith-Effekt ) treten jedoch bei nur bei Langzeitexpositionen unter hohem ppO 2 auf, der Effekt wird also für den Hobbytaucher keine Relevanz zeitigen.

4) Wirtschaftliche Erwägungen

Flaschenfüllungen mit Nitrox sind i. d. R. in Deutschland um ein Vielfaches teurer als Pressluftfüllungen und auch nicht weltweit verfügbar. Gerade in wärmeren Tauchgebieten, wo Kälte keine Einschränkung der Tauchzeit bedeutet, kann daher auf kürzere Dekompressionszeiten verzichtet werden. Ein sachgerechtes Dekompressionsprofil ist wesentlich wichtiger.

Weiterhin müssen für eine sichere Anwendung der Mischgase teure Zusatzinstrumente (Gasanalysegeräte, bestimmte Kompressorbauarten mit teureren Abscheidern für Öl, Membranfilter, u. U. bestimmte bauartzugelassene Atemregler etc.) vorgehalten werden, die ebenfalls sehr kostenintensiv sind. Diese Kosten werden auf den Konsumenten umgelegt.

In Deutschland ist für das Nitroxtauchen eine Sonderausrüstung erfoderlich, da gesetzlich alle Atemgase mit einem O 2 -Anteil > 21% als Reinsauerstoff gewertet werden. Dies impliziert eine besondere Stahlflsche und sauerstoffreine und für Nitroxverwendung zugelassene Atemregler, entsprechende Füllapparaturen mit verbesserten Filtereinrichtungen für die Reinhaltung der Kompressorluft zum Zwecke der Eliminierung von Restkohlenwasserstoffen etc.

5) Das Hantieren mit erhöhtem Sauerstoffanteil kann Gefahren bedeuten

Hauptgefahrenquelle ist das Herstellen der Mischung an Nitroxgas. Bei der sog. „Partialdruckmethode“ wird eine fast leere Pressluftflasche zuerst mit einer bestimmten Menge an reinem Sauerstoff befüllt und dann mit Pressluft aus dem Kompressor entsprechend dem beabsichtigten Mischungsverhältnis aufgefüllt. Wenn bei Einfüllen der Luft in die mit Sauerstoff vorbefüllte Flasche z. B. aufgrund eines Defektes im Ölabscheider des Kompressors auch nur kleinste Spuren von Kompressorenöl unter hohem Druck in die Flasche geraten, kann es zur Verbrennung dieser Stoffe oder zu Explosionen im Füllsystem kommen.

6. Fazit

Meiner Ansicht nach macht es für den normalen Sporttaucher i. d. R. wenig Sinn, den deutlich höheren Preis zu bezahlen, der für die entsprechende Gasmenge Nitrox zu entrichten ist. Wenn man tiefer taucht, als jene Tiefe, bei der mit Nitrox der als kritisch definierte ppO 2 überschritten wird, ist Luft (bis ca. 66+ Meter Wassertiefe, ensptr. ppO2 = 1.6 bar) das Gas der Wahl  (oder heliumangereicherte Mischgase für Tiefen über 80+ Meter, welche aber auch wiederum sehr kostenintensiv aber absolut ungefährlich in der Handhabung sind).

Dass bei Luft-TG mit längeren Grundzeiten und großen Tiefen ein sehr konservatives Austauchprofil vonnöten ist, dürfte bekannt sein. Auch die Oberflächenpause zwischen zwei Tauchgängen darf nicht ignoriert werden. Sie sollte von der Dauer her deutlich länger als 3 Stunden sein. Wer dagegen "two-tank-dives" mit einer halben Stunde Pause dazwischen machen möchte, wird mit Nitrox etwas gesünder tauchen. Die Frage ist nur, zu welchem Preis.

Für flache TG (20 bis ca. 35 Meter max. Wassertiefe) bringt einem die geringe Stickstoffaufsättigung mit Nitrox primär dann Vorteile, wenn man TG unternimmt, bei denen die Aufstiegsgeschwindigkeiten vergleichsweise groß sind (Jo-Jo-TG, egal ob beabsichtigt oder aufgrund allfälliger mangelnder Tarierfähigkeit des modern und kurz ausgebildeten bzw. untrainierten Tauchers, im Extremfalle Durchschießen zur Oberfläche). Ich sehe solcherlei Fehlverhalten jedoch als primär vom Taucher abhängig. Durch Lernen und Üben ist es zu beherrschen, ein konservatives Austauchprofil zu tauchen, daraus ergibt sich keine Erfordernis für Nitrox. Nitrox ist hier allerdings auch kein Allheimittel, weil die Mikrogasblasenbildung eben nicht verhindert sondern nur verringert wird.

Wie bereits erwähnt, kann man auch Nitrox auch als die Antwort bestimmter Verbände/Organisationen, die Grundzeiten zu verlängern ohne vertieftes Dekompressionswissen zu unterrichten, ansehen. Tauchen wird einfach "easy", man muss noch weniger über Dekompression nachdenken. Dass dabei noch die maximale Tiefe limitiert wird, kommt manchen dieser Organisationen und deren "Tauchphilosophie" (Tauchen = ausschließliches Nullzeittauchen bis 36 Meter Wassertiefe) sicher nicht ungelegen.

Als sinnvoll sehe ich das Nitroxtauchen für Personen an, die ständig tauchend im Wasser sind und dabei auch noch häufig schnelle Aufstiege bzw. Tiefenwechsel absolvieren müssen, z. B. Tauchlehrer in der Anfängerausbildung. Hier kann Nitrox Vorteile physiologische bringen, weil diese Personen ihr Tauchprofil weitestgehend nicht selbst festlegen können, sondern quasi vom Schüler 'getaucht werden'. Wer mal eine Gruppe mit 8 Tauchschülern den "schwimmend kontrollierten Notaufstieg" beim Marktführer in Sachen Tauchausbildung hat absolvieren lassen müssen, wird von Nitrox sicher klare Vorteile haben.

Des Weiteren können Tauchschüler in den heute üblichen Schnelkursen innerhalb weniger Tauchgänge wohl kaum adäquate Tarierfähigkeiten entwickeln, so dass der Ausbilder die daraus resultierende Profile zwangsläufig mittauchen muss. Hier kann Nitrox eine Mittel sein, die Bildung von Mikrogasblasen zu verringern. Für den "normalen" und gut trainierten Sporttaucher ist die Anwendung sauerstoffangereicherter Atemgase m. E. absolut obsolet.