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Den Trockenanzug fluten als Notmaßnahme?

Vor einigen Tagen erhielt ich eine E-Mail eines Herrn, der mich fragte, was man den tun könne, wenn man unter Wasser seinen Bleigürtel verloren habe und nun drohe mit dem Trockentauchanzug nach oben "durchzuschießen". Ich antwortete ihm, dass diese Situation grundsätzlich dadurch beherrschbar wäre, dass man den Anzug während des Tauchens stets mit nur wenig Luft befüllt (also nicht dem Anzug tariert) und bei Bemerken des Verlustes der Gewichte sofort alle Luft aus dem Tarierjacket entlässt. Dann sollte man versuchen, nur langsam aufzusteigen (ggf. kurz mit dem Kopf voran nach unten paddeln um eine größere Tiefe zu erreichen) und beim vertikalen Aufstieg dann den Anzug dauernd zu entlüften (i. e. den Arm mit dem Auslassventil permanent anzuheben). Ab einem bestimmten Punkt überwiegt nun aber der Auftrieb (meiner Erfahrung nach in einer WT von 12 bis 18 Metern) und diesen Punkt gilt es zu ermitteln. Vor diesem Punkt ist eine Tiefenkontrolle ohne Weiteres möglich. Auf dieser Tiefe (oder etwas unterhalb davon) wird so lange dekomprimiert wie die mitgeführte Luft ausreicht. Meiner Erfahrung nach lässt sich so zumindest
ein Teil des Aufstieges wirksam verzögern.

Dieser Mensch brachte aber eine andere Idee ins Spiel, die ich völlig absonderlich fand:

"Es  gibt eigentlich beim Verlust des Bleigurtes in meinen Augen nur eine einzige Lösung um einen kontrollierten Aufstieg einzuleiten und der heißt "den Trocki mit Wasser fluten" bis ich zum stehen komme. "

Ich war erstmal geschockt, über die Unwissenheit, die hinter dieser Idee stand. "Wer ist so dumm und setzt die Schutzwirkung seines Trockenanzuges gegen das umgebende Kaltwasser willentlich und schlagartig auf NULL herab indem er literweise eiskalte Flüssigkeit einlaufen lässt?" dachte ich mir.

Ich übeschlug die Sache: Wird ein Bleigurt mit 15kg Masse verloren, muss in etwa die entsprechende Menge Kaltwasser in den Anzug gelangen. Dies entspricht ca. 15 Litern Wasser, das dann die Luft verdrängt und damit die Auftriebskraft um 150N vermindert. Gehen wir davon aus, dass man im Trockenanzug in kaltem Wasser taucht, so nehmen wir an, das Wasser habe eine Temperatur von 7°C. Vor dem Fluten habe das Anzuginnere eine Temperatur von 18°C gehabt. Dadurch ergibt sich eine Wärmemenge von

W = m * c * (T0 - T1) = 15kg * 4,192 kJ/(kg*K) * 11K = 691,68 kJ

die schlagartig dem Körper entzogen wird.

Zusätzlich kommt es in der Folge dieses Manövers zu einem erheblich gesteigerten Wärmeverlust aus dem Anzuginneren an das umgebende kalte Wasser. Die eingedrungene Flüssigkeit setzt die Isolationsfähigkeit des Tauchanzuges signifikant herab, eine beträchtliche Wärmemenge wird
von nun an über Konduktion (Wärmeleitung) und Konvektion (Wärmetransport durch fließendes Medium) permanent nach außen abgegeben. Der ab diesem Zeitpunkt pro Zeiteinheit verlorene Energiebetrag wird den initialen Energieverlust von ca. 700 kJ (s. o.) nach kurzer Zeit weit übertroffen haben.

So viel zur Physik.

Was sind nun die möglichen Folgen? Und wie sind sie in Relation zu einer hypothetischen DCS zu sehen, die man aufgrund des Schnellaufstieges erleiden könnte?

Unterscheiden wir zwei Fälle:

a) nicht-dekompressionspflichtiger Tauchgang

Wenn man keinen dekompressionspflichtigen Tauchgang unternommen hat, ist das Risiko beim schnellen Aufsteigen eine DCS zu erleiden, vergleichsweise klein. Das bestehende Restrisiko lässt sich durch die Gabe von normobarem O2 nach dem TG weiter vermindern. Es besteht hier also überhaupt kein Grund den TTA mit kaltem Wasser zu befüllen.

b) dekompressionspflichtiger Tauchgang

Es ist mit dem Auftreten von DCS-Symptomen zu rechnen die in Lokalisation und Schwere vom Tauchprofil und der Disposition des Tauchers abhängen. Wie ist das Risiko durch Fluten des Anzuges zu bewerten, das dem gegenübersteht?

Für beide Fälle (a und b) gilt gemeinsam: Das Risiko aufgrund der Folgen beim massiven willentlichen Einbruch von Kaltwasser in den Trockenanzug zu verunfallen ist relativ groß (Ursachen: Unterkühlung, Kontrollverlust). Des Weiteren kommt es aufgrund des Kälteschocks durch das schnelle Eindringen von Kaltwasser in den Anzug zu einer Hyperventilation des Tauchers, verbunden mit der Gefahr, dass der Taucher den Atemregler verliert, in der Folge Wasser aspiriert oder aufgrund der nun extrem hohen Luftlieferleistung des Atemreglers dieser vereist, sollte ihn der Taucher doch im Mund behalten haben. Die erste Folge wäre letal und nennt sich "Ertrinkungstod". Die zweite erzeugt ein weiteres Problem, das der Taucher schlecht lösen können wird, da der vorausgegangene Kälteschock seine Handlungsfähigkeit erheblich herabsetzt und ein vollständiger Verlust der Atemluft droht.

Außerdem muss bei nicht 100% herzgesunden Tauchern bei dem Manöver mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand gerechnet werden. Besonders eine schnelle Abkühlung im Herz- und Bauchbereich kann hier fatale Folgen haben.

Zusätzlich muss folgendes in Betracht gezogen werden: Durch den Kontakt der Körperoberfläche mit dem kalten Wasser ziehen sich die Gefäße 
von Haut und Muskeln zusammen, es kommt zu einer Vasokonstriktion. Die Perfusionsrate (Durchblutung) dieser Gewebe sinkt ab, was dazu führt, dass weniger Inertgas pro Zeiteinheit aus dem Körper  bzw. seinen peripheren Geweben eliminiert wird. Daraus folgt, dass der Taucher zwar möglicherweise im Wasser auf einer durch die Dekompressionsvorchrift gegebenen Tiefe bleiben kann, die Dekompression aber trotzdem nicht regelgerecht abläuft.

Im Übrigen sind eine DCS oder ein Barotrauma (mit Ausnahme der Folge der AGE als Ergebnis eines Lungenbarotraumas) ohne Weiteres beherrschbar und selten tödlich. Beim Ertrinken sieht es dagegen ganz anders aus.

Fazit: Wieder mal eine dumme Idee, die bei kurzen Nachdenken aufgelöst hätte werden können.