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von Peter Rachow Startseite - Home
Den Trockenanzug fluten als Notmaßnahme?
Vor einigen Tagen erhielt ich eine E-Mail eines Herrn, der mich fragte, was man den tun könne, wenn man unter Wasser seinen
Bleigürtel verloren habe und nun drohe mit dem Trockentauchanzug
nach oben "durchzuschießen". Ich antwortete ihm, dass diese
Situation grundsätzlich dadurch beherrschbar wäre, dass man
den Anzug während des Tauchens stets mit nur wenig Luft befüllt
(also nicht dem Anzug tariert) und bei Bemerken des Verlustes der
Gewichte sofort alle Luft aus dem Tarierjacket entlässt. Dann sollte
man versuchen, nur langsam aufzusteigen (ggf. kurz
mit dem Kopf voran nach unten paddeln um eine größere Tiefe
zu erreichen) und beim vertikalen Aufstieg dann den Anzug dauernd zu
entlüften (i. e. den Arm mit dem Auslassventil permanent
anzuheben). Ab einem bestimmten Punkt überwiegt nun aber der
Auftrieb (meiner Erfahrung nach in einer WT von 12 bis 18 Metern) und
diesen Punkt gilt es zu ermitteln. Vor diesem Punkt ist eine
Tiefenkontrolle ohne Weiteres möglich. Auf dieser Tiefe (oder
etwas unterhalb davon) wird so lange dekomprimiert wie die
mitgeführte Luft ausreicht. Meiner Erfahrung nach lässt sich
so zumindest ein Teil des Aufstieges wirksam verzögern.
Dieser Mensch brachte aber eine andere Idee ins Spiel, die ich völlig absonderlich fand:
"Es gibt eigentlich beim Verlust des
Bleigurtes in meinen Augen nur eine
einzige Lösung um einen kontrollierten Aufstieg einzuleiten und der heißt "den Trocki mit Wasser fluten" bis ich zum stehen komme. "
Ich
war erstmal geschockt, über die Unwissenheit, die hinter dieser
Idee stand. "Wer ist so dumm und setzt die Schutzwirkung seines
Trockenanzuges gegen das umgebende Kaltwasser willentlich und
schlagartig auf NULL herab indem er literweise eiskalte Flüssigkeit
einlaufen lässt?" dachte ich mir.
Ich übeschlug die Sache:
Wird ein Bleigurt mit 15kg Masse verloren, muss in etwa die
entsprechende Menge Kaltwasser in den Anzug gelangen. Dies entspricht
ca. 15 Litern Wasser, das dann die Luft verdrängt und damit die
Auftriebskraft um 150N vermindert. Gehen wir davon aus, dass man im
Trockenanzug in
kaltem Wasser taucht, so nehmen wir an, das Wasser habe eine Temperatur
von 7°C. Vor dem Fluten habe das Anzuginnere eine Temperatur von
18°C gehabt. Dadurch ergibt sich eine Wärmemenge von
W = m * c * (T0 - T1) = 15kg * 4,192 kJ/(kg*K) * 11K = 691,68 kJ
die schlagartig dem Körper entzogen wird.
Zusätzlich
kommt es in der Folge dieses Manövers zu einem erheblich gesteigerten
Wärmeverlust aus dem Anzuginneren an das umgebende kalte Wasser. Die eingedrungene Flüssigkeit setzt die
Isolationsfähigkeit des Tauchanzuges signifikant herab, eine
beträchtliche Wärmemenge wird von nun an
über
Konduktion (Wärmeleitung) und
Konvektion (Wärmetransport durch fließendes Medium)
permanent nach außen abgegeben. Der ab diesem Zeitpunkt pro
Zeiteinheit verlorene
Energiebetrag wird den initialen Energieverlust von ca. 700 kJ (s. o.)
nach
kurzer Zeit weit übertroffen haben.
So viel zur Physik.
Was sind nun die möglichen Folgen? Und wie sind sie in Relation zu
einer hypothetischen DCS zu sehen, die man aufgrund des
Schnellaufstieges erleiden könnte?
Unterscheiden wir zwei Fälle:
a) nicht-dekompressionspflichtiger Tauchgang
Wenn man keinen dekompressionspflichtigen Tauchgang unternommen hat, ist das
Risiko beim schnellen Aufsteigen eine DCS zu erleiden, vergleichsweise klein.
Das bestehende Restrisiko lässt sich durch die Gabe von normobarem O2 nach
dem TG weiter vermindern. Es besteht hier also überhaupt kein Grund den TTA
mit kaltem Wasser zu befüllen.
b) dekompressionspflichtiger Tauchgang
Es ist mit dem Auftreten von
DCS-Symptomen zu rechnen die in Lokalisation und Schwere vom
Tauchprofil und der Disposition des Tauchers abhängen. Wie ist das
Risiko durch Fluten des Anzuges
zu bewerten, das dem gegenübersteht?
Für beide Fälle (a und b)
gilt gemeinsam: Das Risiko aufgrund der Folgen beim massiven
willentlichen Einbruch von Kaltwasser in den Trockenanzug zu
verunfallen ist relativ groß (Ursachen: Unterkühlung,
Kontrollverlust). Des Weiteren kommt es aufgrund des Kälteschocks
durch das schnelle Eindringen von Kaltwasser in den Anzug zu einer
Hyperventilation des Tauchers, verbunden mit der Gefahr, dass der Taucher den
Atemregler verliert, in der Folge Wasser aspiriert oder aufgrund der
nun extrem hohen Luftlieferleistung des Atemreglers dieser vereist,
sollte ihn der Taucher doch im Mund behalten haben. Die erste Folge
wäre letal und nennt sich "Ertrinkungstod". Die zweite erzeugt ein
weiteres Problem, das der Taucher schlecht lösen können wird,
da der vorausgegangene Kälteschock seine Handlungsfähigkeit
erheblich herabsetzt und ein vollständiger Verlust der Atemluft
droht.
Außerdem muss bei nicht 100% herzgesunden Tauchern bei
dem Manöver mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand gerechnet werden. Besonders
eine schnelle Abkühlung im Herz- und Bauchbereich kann hier fatale Folgen
haben.
Zusätzlich muss folgendes in
Betracht gezogen werden: Durch den Kontakt der
Körperoberfläche mit dem kalten Wasser ziehen sich die
Gefäße von Haut und Muskeln zusammen, es kommt zu einer Vasokonstriktion.
Die Perfusionsrate (Durchblutung) dieser Gewebe sinkt ab, was dazu
führt, dass weniger Inertgas pro Zeiteinheit aus dem
Körper bzw. seinen peripheren Geweben eliminiert wird.
Daraus folgt, dass der Taucher zwar möglicherweise im Wasser auf
einer durch die Dekompressionsvorchrift gegebenen Tiefe bleiben kann,
die Dekompression aber trotzdem nicht regelgerecht abläuft.
Im Übrigen
sind eine DCS oder ein Barotrauma (mit Ausnahme der Folge der AGE als
Ergebnis eines Lungenbarotraumas) ohne Weiteres beherrschbar und
selten tödlich. Beim Ertrinken sieht es dagegen ganz anders aus.
Fazit: Wieder mal eine dumme Idee, die
bei kurzen Nachdenken aufgelöst hätte werden können.